Wettbewerbsrecht: Lebensmittelrecht, Milch, Milcherzeugnisse, vegane Lebensmittel, Weidemilch

In der wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung zum Lebensmittelrecht sind Milcherzeugnisse überraschend häufig Gegenstand der Verfahren. Zwei aktuelle Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs und des OLG Nürnberg sind zu nennen.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte sich in seinem Urteil vom 14.06.2017 mit der Bezeichnung von vegetarischen bzw. veganen Lebensmitteln zu befassen, die unter den Bezeichnungen: „Soyatoo Tofubutter“, „Pflanzenkäse“, „Veggie-Cheese“, „Veggie-Cream“ und ähnlichen Bezeichnungen vertrieben wurden.

Eine Wettbewerbsvereinigung klagte gegen diese Bezeichnungen, weil ein Verstoß nach § 3 a UWG i.V.m. Art. 78 Abs. 2 und Anhang VII Teil III Marktorganisations-VO (1308/2013/EU) vorläge. Das erstinstanzliche Landgericht Trier hat diesen Rechtsstreit dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegt. Die Gerichte haben der Klage stattgegeben.

Zu beachten ist Art. 78 Abs. 2 und Anhang VII Teil III Marktorganisations-Verordnung. Art. 78 Abs. 1 legt fest, dass für die nachfolgend genannten Erzeugnisse nur die gesetzlichen Begriffsbestimmungen verwendet werden können, und zwar für Milch und Milcherzeugnisse, Rindfleisch, Wein, Geflügelfleisch, Eier, Streichfette, Olivenöl und Tafeloliven. Nach Art. 78 Abs. 2 dürfen die Bezeichnungen nur für die in dem Anhang VII genannten Erzeugnisse verwendet werden.

In Anhang II Teil III werden die Begriffsbestimmungen für Milch und Milcherzeugnisse geregelt. Der Ausdruck „Milch“ ist ausschließlich dem durch ein- oder mehrmaliges Melken gewonnenen Erzeugnis vorbehalten. Nach Nr. 4 des Anhangs ist bei Milch, falls es sich nicht um Kuhmilch handelt, die Tierart des Ursprung anzugeben. „Milcherzeugnisse“ sind nur ausschließlich aus Milch gewonnene Erzeugnisse, wobei folgende Bezeichnungen ausschließlich Milcherzeugnissen vorbehalten bleiben: Molke, Rahm, Butter, Buttermilch, Käse, Joghurt und Weiteres.

Nach Nr. 6 von Teil III ist bestimmt, dass bei anderen als den oben genannten Milcherzeugnissen nicht durch Etikett, Werbung oder Aufmachung in irgendeiner Weise behauptet oder der Eindruck erweckt werden darf, dass es sich bei diesen betreffenden Erzeugnissen um Milcherzeugnisse handelt.

Auf dieser Grundlage entschied der EuGH, dass vegetarische oder vegane Produkte, bei denen es sich ausschließlich um pflanzliche Erzeugnisse handelt, diese Bezeichnungen wie Butter, Käse oder Ähnliches nicht verwendet werden dürfen. Dies gilt auch dann, wenn durch klarstellende oder beschreibende Zusätze darauf hingewiesen wird, dass es sich bei den Produkten um Waren pflanzlichen Ursprungs handele.

Die Bezeichnung Tofubutter oder Pflanzenkäse ist daher auf keinen Fall statthaft.

Auch der Hinweis auf die allgemein verwendeten Begriffe: „Kokosmilch“ und „Leberkäse“ hilft hier nicht weiter, da diese Begriffe den langjährigen Verbrauchergewohnheiten entsprechen und dementsprechend auch durch Beschluss der Europäischen Kommission für zulässig erachtet wurden;

siehe EuGH, Urteil vom 14.06.2017, C – 422/16, in GRUR 2017, 828.

 

Das Oberlandesgericht Nürnberg hatte sich in seinem Urteil vom 07.02.2017 mit dem Begriff „Weide-Milch“ zu befassen.

Ein bundesweit tätiger Discounter vertrieb Vollmilch unter der Bezeichnung: „frische Weide-Milch“. Auf dem Etikett der Flasche waren grasende Kühe abgebildet. Das rückseitige Flaschenetikett enthielt den Hinweis: „Bei diesem Produkt handelt es sich um 100 % Weidemilch. Unsere Weidemilch stammt von Kühen, die mindestens 120 Tage im Jahr und davon mindestens 6 Stunden am Tag auf der Weide stehen.“. Diese Information ist tatsächlich zutreffend.

Ein Wettbewerbsverband klagte gegen diese Bezeichnung, weil er sie für irreführend hält im Sinne von Art. 7 LMIV (Lebensmittelinformationsverordnung, VO/EU 1169/2011). Das OLG folgte dieser Auffassung nicht und wies die Klage ab.

Nach Art. 7 Abs. 1 a LMIV dürfen Informationen über Lebensmittel nicht irreführend sein, insbesondere in Bezug auf die Eigenschaften des Lebensmittels, unter anderem in Bezug auf Art, Identität, Eigenschaften, Zusammensetzungen usw. Eine Irreführung im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn durch die Information über das Lebensmittel bei den angesprochenen Endverbrauchern falsche Vorstellungen ausgelöst werden, die mit dem tatsächlichen Zustand, insbesondere den Eigenschaften nicht übereinstimmen.

Insoweit kommt es darauf an, welche Verbrauchervorstellung in Bezug auf die Bezeichnung „Weide-Milch“ besteht. Eine gesetzliche Regelung zu diesem Begriff gibt es nicht. In einem Positionspapier des Milchindustrieverbandes zu dieser Bezeichnung wird ausgeführt, dass eine solche Milch von Kühen stammen müsse, die während der Weidesaison täglich Weidegang haben und auf der Weide grasen; die Kühe stehen auf der Weide, sofern es z. B. Witterung und der Zustand des Bodens zulassen, mindestens jedoch 120 Tage im Jahr und 6 Stunden pro Tag, so der Branchenverband. Auch das Niedersächsische Ministerium für Ernährung und Verbraucherschutz hat ein Weidemilch-Label veröffentlicht, bei dem man ebenfalls von diesen Voraussetzungen ausgegangen wird.

Auch das Gericht schätzt die Verbrauchererwartung in dem Sinne ein, dass der informierte, vernünftig aufmerksame und kritische Verbraucher unter dem Begriff Weide-Milch eine Milch erwartet, die von Kühen stammt, welche in der üblichen Weidesaison auf der Wiese grasen. Aus diesem Grunde sei es bereits zweifelhaft, ob die Bezeichnung für sich betrachtet irreführend sei.

Entscheidend sei aber, dass auf dem Rücketikett deutlich sichtbar der aufklärende Hinweis enthalten ist, in welchem Umfang sich die Kühe auf der Weide befinden. Durch diesen aufklärenden Hinweis sei die Irreführungsgefahr beseitigt.

Auch die Entscheidung des BGH „Himbeer-Vanille-Abenteuer II“ (GRUR 2016, 738) führe hier nicht weiter und stütze nicht die gegenteilige Auffassung. Im Gegensatz zu der BGH-Entscheidung ist diesem Fall die Aufmachung der Flasche mit den grasenden Kühen auf der Vorderseite und der deutliche, aufklärende Hinweis auf der Rückseite so gestaltet, so dass aus der optischen Aufmachung für sich betrachtet keine irreführende Vorstellung hervorgerufen wird;

so: OLG Nürnberg, Urteil vom 07.02.2017, Az. 3 U 1537/16, GRUR-RR 2017, 350, ZLR 2017, 372

In dieser Entscheidung hat in einer Urteilsanmerkung (Prof. Dr. M. Hagenmeyer, ZLR 2017,379) deutliche Kritik erfahren. Der Autor kritisiert, dass nach diesen Angaben die Kühe nur geringe Zeit auf der Weide stehen müssen. Man kann also rechnen: Das Jahr hat 8760 Stunden, demgegenüber sollen nach der Angabe die Kühe nur 720 Stunden (120 Tage x 6 Stunden) sich auf der Weide aufhalten, also nur 8,2 % der Zeit im Jahr. Auch ergebe sich nicht daraus, ob die Kuh tatsächlich vor dem Melken auf der Weide war. Wenn eine Kuh zudem erstmalig nach Oktober eines Jahres gemolken wird, wird sie bis dahin nie eine Weide gesehen haben. In der Zeit von Herbst, Winter bis Anfang Frühjahr befinden sich die Kühe im Stall und werden mit Kraftfutter ernährt. Gleichwohl kann die so gewonnene Milch „Weidemilch“ genannt werden.

Diese Kritik hat ihre Berechtigung, wobei es das OLG Nürnberg in seinem Urteil auch ausdrücklich offen lässt, ob der Begriff irreführend verwendet wird. Es sieht die Irreführungsgefahr jedoch durch den rückseitigen, gut sichtbaren, klarstellenden Hinweis für beseitigt. Auch diese Betrachtung mag man kritisieren, zumal das OLG nicht darüber entschieden hat und auch nicht zu entscheiden hatte, ob die Weidedauer von 6 Stunden an 120 Tagen auch noch unterschritten werden dürfte. Weiter sagt das Urteil ebenso nichts dazu aus, wie Milch von Kühen benannt werden kann, die viel länger, vielleicht durchgehend ein halbes Jahr, auf der Weide gestanden haben.

Ich halte die Kritik im Ergebnis nicht für berechtigt. Das Urteil des OLG Nürnberg steht im Einklang zu der einschlägigen Rechtsprechung. Der EuGH hat in zwei Entscheidungen klargestellt, dass der durchschnittlich informierte, aufmerksame Durchschnittsverbraucher sich über die Zutatenliste auf der Rückseite der Verpackung informieren kann und dass hierdurch in der Regel eine Irreführung vermieden wird. Zu beachten sind auch die „Warsteiner-Urteile“ des Bundesgerichtshofs zu einem Bier, das eben nicht mehr in der Stadt Warstein gebraut wird. Auch hier reicht auf der Etikettenrückseite der klarstellende, entlokalisierende Hinweis aus: „Gebraut in Paderborn“.

Sofern der aufklärende Hinweis wie hier: ´Auf der Weide 6 Stunden an 120 Tagen`, inhaltlich zutreffend, klar und leicht verständlich gemäß Art. 7 Abs. 2 LMIV angebracht wird, kann der Verbraucher zunächst erkennen, dass sich die Kühe nur relativ kurze Zeit auf der Weide befunden haben. Mit etwas Nachdenken kann er dann auch die oben genannten Kritikpunkte erkennen und er ist in die Lage versetzt, selbst zu entscheiden, ob er eine derartige Milch noch als „Weidemilch“ verstehen will. Auch die Landwirte bzw. Molkereien, die Milch verarbeiten von Kühen, die deutlich längere Zeit auf der Weide gestanden haben, werden im Grunde nicht benachteiligt. Ihnen bleibt es unbenommen, auf der Verpackung die tatsächliche, längere Weidezeit anzugeben.

Von Seiten der Landwirte und den Molkereien sollte jedoch diese Entscheidung des OLG Nürnberg nicht überspannt werden. Die Frage, ob lebensmittelrechtliche Angaben irreführend sind im Sinne von Art. 7 Abs. 1 LMIV, hängt auch ganz wesentlich von der Aufmachung einer Verpackung ab. Der klarstellende Hinweis muss zutreffend und klar sein, damit aber auch deutlich sichtbar. Auch die hier angesetzte Weidezeit von 6 Stunden an 120 Tagen sollte für die Bezeichnung ´Weidemilch` besser nicht unterschritten werden. Die Grenzen zur irreführenden Angabe sind mit dieser Entscheidung des OLG Nürnberg sicherlich ausgelotet.

Dieser Beitrag wurde verfasst von Rechtsanwalt Dr. Andreas Stute.

14.09.2017

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